München – Auch Heike Stürz musste wegen Corona zusperren. „Kurz davor hatten wir noch einen Tag der offenen Tür“, erzählt die Geschäftsführerin des E-Bike-Centers Josef Lechenbauer in Altomünster im Kreis Dachau. „Da haben wir schon geahnt, dass heuer was auf uns zukommt. Mit einer solchen Nachfrage-Explosion haben wir aber nicht gerechnet.“ Ans Telefon sind sie nach der Wiedereröffnung eine Zeit lang gar nicht mehr gegangen – keine Zeit. „Die Leute fahren nicht in den Urlaub, das Geld aus der Urlaubskasse stecken sie in Elektroräder, mit denen sie daheim auf Tour gehen wollen“, sagt Stürz über den Ansturm.
1,3 Millionen Pedelecs wurden 2019 in Deutschland gekauft. Was die Branche freut, macht anderen massive Sorgen. Denn auch die Zahl der Unfälle mit Elektro-Rädern steigt stark. Zwischen Januar und November 2019 gab es bundesweit 28 Tote mehr als im Jahr davor. Das ist laut Statistischem Bundesamt ein Anstieg von 32,6 Prozent. Schon 2018 war die Zahl um 28,4 Prozent gestiegen.
Das sei nicht allein mit der gestiegenen Zahl an Elektrorädern zu erklären, glaubt man bei der Unfallforschung der Deutschen Versicherer. In den Fokus gerückt ist der Trend zum Aufmotzen mit Bauteilen aus dem Internet. Online-Händler werben offensiv mit Produkten, die die bei 25 Stundenkilometern vorgeschriebene Motorabriegelung umgehen. Obwohl frisierte Pedelecs im Straßenverkehr verboten sind: Der Verkauf von Tuning-Artikeln im Internet ist es nicht.
Die Händler bedienen sich eines simplen juristischen Tricks: Sie weisen darauf hin, dass die Geräte nicht im öffentlichen Verkehr genutzt werden dürfen. Da die Verwendung auf Privatgrundstücken zulässig ist, sei es schwer, diese zu verbieten, erklärt Siegfried Neuberger, Geschäftsführer des Zweirad-Industrie-Verbandes (ZIV). Vielen Kunden sei aber nicht klar, welche rechtlichen und technischen Risiken sie mit frisierten Pedelecs im Straßenverkehr eingingen.
Pedelecs gelten laut Straßenverkehrsordnung als Fahrräder – allerdings nur, wenn der Motor bei 25 Stundenkilometern aufhört zu arbeiten. Wer schneller fahren will, muss das durch Strampeln hinkriegen.
Es gibt zwar E-Räder, deren Motor legal bis 45 km/h mitarbeitet, aber für diese gelten andere Regeln. E-Bikes können im Unterschied zu Pedelecs auch in Gang gesetzt werden, ohne dass man in die Pedale tritt (siehe Kasten). Sie dürfen in aller Regel innerorts nicht auf Radwegen fahren, brauchen ein Versicherungskennzeichen, es gilt Helmpflicht. Wer die automatische Abriegelung eines Pedelec aushebelt, ist ohne Versicherungsschutz und damit im strafrechtlichen Bereich unterwegs. Und wer keinen Auto- oder Mofa-Führerschein hat, fährt ohne Fahrerlaubnis.
Im Internet kursieren Videos von Pedelec-Fahrern, die mit 70 Sachen und mehr unterwegs sind. Aber nicht nurgeschwindigkeitsaffine Bastler, auch Otto-Normal-Kunde motze gerne auf, sagt Heike Stürz. „Wir werden immer wieder gefragt, ob das machbar ist. Erstaunlicherweise nicht von jungen Leuten, sondern eher von Kunden aus der Altersklasse 45 bis 60 Jahre.“ Solchen Wünschen könne man selbstverständlich nicht nachkommen, sagt Stürz. „Wir übernehmen auch keine Updates und keinen Service für getunte Pedelecs.“
Wie viele von denen unterwegs sind, lässt sich kaum sagen. In Bayern gab es 2019 etwa 700 000 Pedelecs. Bayerns Polizei hat laut Innenministerium aber nur 84 Verstöße festgestellt, „bei denen jeweils nach Manipulation an den Fahrzeugen die entsprechenden Ordnungswidrigkeitstatbestände sowie ein Strafverfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und bzw. oder wegen eines Vergehens nach dem Pflichtversicherungsgesetz eingeleitet wurden“. Das erscheint ziemlich wenig, gibt es doch Schätzungen, wonach jedes dritte Pedelec manipuliert wurde.
Die Hersteller versuchen zu reagieren. Düsen irgendwann zu viele getunte Pedelecs herum und gibt es zu viele Unfälle, könnten strengere Regeln drohen, befürchten sie. Und würden Pedelecs dann nicht mehr als Fahrrad, sondern als Kraftfahrzeug eingestuft, könnte das den Boom abwürgen. Möglich scheint aber auch eine andere Entwicklung: Mehr Freiheiten für die verschiedenen Elektroräder. In der Schweiz etwa sind 25 Prozent der Elektroräder S-Pedelecs. S-Pedelecs sind Räder, mit denen man viel schneller unterwegs sein kann. Der Motor riegelt erst bei 45 km/h ab. In Deutschland ist ihr Anteil verschwindend. Ein wesentlicher Unterschied: Eidgenössische Radwege sind für S-Pedelecs generell freigegeben.
In Deutschland geht das theoretisch auch – aber nur, wenn örtliche Verkehrsbehörden für einzelne Radwege eine Freigabe erteilen. Das baden-württembergische Tübingen hatte im November erste Abschnitte freigegeben,
Beim Allgemeinen Deutschen Fahrradclub ADFC sieht man das kritisch: „S-Pedelecs innerorts auf Radwegen lehnen wir deutlich ab.“ Der Geschwindigkeitsunterschied zum normalen Fahrrad sei „viel zu groß“. Lediglich wenig befahrene Radwege außerorts könne man freigeben, wenn dadurch Autofahrten eingespart werden.
Quellenangabe: Dachauer Nachrichten vom 09.07.2020, Seite 3
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